Neulich in der Jammerbremse ...

 

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... tagte der Debattierclub.

 

 

von Martin Schult (Juni 2022)

 

 

Freitags waren wir noch nie in der Jammerbremse. Mein Kumpel – Chorprobe – hat deswegen an diesem Tag keine Zeit. Außerdem soll man freitags die Kneipe meiden, wie man im Kiez erzählt, doch ich habe keine Ahnung, warum. Aber was, wenn der Chor mal ausfällt, weil gemeinsames Singen in Zeiten wie diesen ja sehr ansteckend sein kann? Mein Kumpel ist zum Glück negativ.

So sitzen wir doch an diesem Freitag am Tresen und hören aus dem Hinterzimmer lautes Gebrüll, was mich verwundert, ist die Jammerbremse doch sonst immer ein Ort des ruhigen Miteinanders: Reden – Biertrinken – Zuhören – Biertrinken – Schweigen …

Plötzlich stürmt ein Mann aus dem Hinterzimmer, rempelt uns an, ohne sich zu entschuldigen, und reißt, während er aus der Eingangstür stürzt, sich das Hemd vom Leib. 

»Jannis!«, brüllt er die untergehende Sonne an. »Ich bin Jannis!«

»Wer ist das?«, frage ich Manni.

»Det is Jannis«, sagt Manni und poliert Gläser.

»Das haben wir auch schon gemerkt«, meint mein Kumpel, »aber warum brüllt er so?«

»Naja, er ist der Vorsitzende vom DEB-Club. Det is so’n Debattierclub, den ick vor ‘n paar Jahren gegründet hab. Seitdem kommen se immer freitags, und seitdem is die Kneipe an diesen Abenden brechend voll.«

»Ein Debattierclub?«, frage ich.

»DEB-Club?«, fragt mein Kumpel. 

Manni hört auf zu polieren und hebt nacheinander drei Finger. »Denken – Erklären – Bequatschen, kurz DEB. Det beste, wat mir jemals eingefallen ist. Ein exklusiver Club, in den man nur reinkommt, wenn man ‘nen Bürgen hat. Und dann is man bis zu seinem Lebensende Mitglied.«

»Prost drauf.« Ich trinke mein Glas aus. Mein Kumpel aber kann es nicht fassen. Noch immer beobachtet er diesen Jannis, der sein Hemd wieder anzieht, zurück in die Kneipe kommt, uns anrempelt, ohne sich zu entschuldigen, und im Hinterzimmer verschwindet.

»Und warum hat der so gebrüllt?«, fragt mein Kumpel.

»Na, weil die den abwählen wollen. Und det kann er nich ab.« Manni stellt mir ein Frischgezapftes vor die Nase und poliert wieder.

»Mensch, Manni«, sage ich, »dir muss man echt jedes Wort aus der Nase ziehen. Warum wollen sie ihn abwählen?«

»Na, weil dem det B fehlt.« Er merkt, dass wir nichts begreifen. »Leute, is doch klar. Im Denken ist der Jannis große Klasse. Ick hab noch nie jemanden so denken gesehen. Und im Erklären isser auch nich schlecht. Aber det B, det Bequatschen, wat jeder so denkt und sacht – det geht mit dem Jannis nich.«

 

*

 

Auf einmal stürmt ein anderer Mann aus dem Raum, brüllt »Ich schalte meinen Rechtsanwalt ein!«, rempelt uns an, ohne sich zu entschuldigen, und stürzt nach draußen. 

»Und wer ist das?«, fragt mein Kumpel und trinkt sein Bier aus.

»Det ist der Heiner«, sagt Manni. »Der ist der Co-Vorsitzende und ist jetzt sauer auf den Jannis, weil der nich mehr mit ihm will.« Noch einer stürzt aus dem Raum und gesellt sich zu diesem Olaf. 

»Dr. Dr. Bruno«, erklärt Manni. »Der war mal stellvertretender Vizevorsitzender und berät jeden, der juristischen Beistand braucht – pro bono, nur ’n paar Bierchen muss man ihm ausgeben.«

»Gute Idee«, sage ich zu Manni. »Ich kann dich ja auch mal beraten.« 

»Haha«, sagt er, lacht aber nicht. »Die beiden sind vor allem B: Bequatschen allet, ohne zu wissen, wat sie überhaupt bequatschen. Un dann drehn se sich, drehn sich und drehn sich, immer im Kreis.«

Jetzt kommt eine Frau und geht mit ernster Miene zu den beiden Männern, um sie zurück ins Hinterzimmer zu holen. Als sie drei verschwunden sind, stellt uns Manni zwei frische Bierchen hin.

»Det war die Uschi. Die muss immer schlichten, wenn wat schiefläuft.«

Mein Kumpel und ich schweigen und trinken. Dann halte ich es nicht mehr aus. »Und über was debattieren die? Wie viele sind denn da noch in dem Hinterzimmer?«

»‘Ne Menge«, sagt Manni. »Kannst ja mal kieken gehen. Sowat nennen wir Freundeskreis, kostet aber ‘n Fünfer. Und du darfst nur zuhören, aber nüscht sagen, det dürfen nur die Mitglieder.«

»Blödsinn«, sage ich und lasse es sein. Mein Kumpel aber legt einen Schein auf den Tresen und verschwindet.

 

*

 

Ein halbe Stunde später ist mein Kumpel zurück. Er trinkt zwei Bier hintereinander, aber auch dann schweigt er noch. Dieser Olaf rennt wieder durch die Kneipe, brüllt »Betrug!«, »Schadensersatz!« und rauft sich dabei die Haare. Und auch Jannis stürzt noch einmal aus der Tür und erklärt jetzt dem aufgegangenen Mond, wer er ist. 

Beide Männer stehen zehn Meter voneinander entfernt und ignorieren sich – bis der eine sich räuspert.

»Was räusperst du dich denn?«, ruft der andere.

»Du Arschloch!«

»Selber Arschloch!«, kontert der erste wieder, und das geht ein paar Mal hin und her, bis sie wieder schweigen.  

»Erzähl‘ schon«, bitte ich meinen Kumpel.

Der schüttelt den Kopf. »Kann man nicht erzählen, muss man sehen. Die beraten gerade die Tagesordnung.«

»Wat denn, immer noch?«, wundert sich Manni und bringt ein volles Tablett Bier ins Hinterzimmer.

»Ich habe es nicht richtig verstanden«, versucht mein Kumpel, es mir doch zu erklären. »Es geht um Anträge und in welcher Reihenfolge abgestimmt werden soll. Und du glaubst es nicht, die reden sich mit Exzellenz und Honorarkonsul an – naja, reden ist falsch. Die einen brüllen, die anderen brüllen und in der Mitte sitzt der Rest und schaut mal nach links, mal nach rechts. Wie beim Tennis.« Wir trinken unsere Biere aus.

»Und von wegen debattieren …« Mein Kumpel lässt den letzten Rest Bier auf seine Zunge tröpfeln. »… die reden nur über sich. Nicht so wie wir. Weil wir retten ja immer die Welt – wenn genug Bier da ist.« 

Wir warten auf Manni. Endlich, nach einer Ewigkeit, kommt er zurück und bemerkt unsere durstigen Kehlen. 

»Bald man ‘ne Runde fällig«, brummt er und holt Schnapsgläser aus dem Regal. Olaf und Jannis rauschen wortlos an uns vorbei und verschwinden wieder im Hinterzimmer. Das Gebrüll wird noch lauter als zuvor.

Ich rempele meinen Kumpel an. »Ab jetzt singt ihr freitags immer mit Mundschutz, damit ihr euch nicht wieder ansteckt.«

Er rempelt zurück. »Ich werde das gleich beim nächsten Mal auf die Tagesordnung setzen.«

Auf einem Notizblock macht Manni etliche Striche hinter Olaf, Uschi, Jannis und all den anderen Namen. Dann grinst er und stellt die Schnäpse auf den Tresen. 

»Schweigen ist Silber. Aber debattieren ist Gold. Stößchen!«

 

* * *

 

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... retteten wir die Welt.

 

 

von Martin Schult (Mai 2022)

 

»Lass es«, sagt mein Kumpel am Ende eines feuchten, aber nicht immer fröhlichen Abends. »Das gibt ’n Shitstorm, den kannste dir nicht vorstellen!« 

»Aber das kann die Welt retten!«, rufe ich vom Bürgersteig aus dem nächtlichen Berlin zu. 

»Ick rette dir auch gleich mal wat!«, ruft jemand zurück und knallt mit seinem Fenster. 

»Siehste. Will keiner hören. Ist ja auch Schwachsinn. Morgen, wenn du wieder nüchtern bist, wirst du das auch merken.« Mein Kumpel torkelt los, Richtung Bett, ich aber halte ihn auf. 

»Weißt du was? Ich glaube, ich hab‘s … vergessen.«  

Die nächsten fünf Minuten geben wir uns unendlich viel Mühe, aber vergeblich. Der Zauber einer wunderbaren Idee, nämlich für Frieden auf der Welt zu sorgen, verflüchtigt sich wie der Rauch unserer Zigaretten in der frühsommerlich warmen Nachtluft. 

»Komm, wir gehen noch mal rein«, schlage ich meinem Kumpel vor, »und fragen Manni. Der erinnert sich bestimmt.« 

»Der wird uns was husten«, sagt mein Kumpel. »Weißt du, wie spät es ist?« 

Doch da klopfe ich schon an die Tür zur Jammerbremse, die der Wirt eben hinter uns zugesperrt hat. 

 

 

Was Manni mag: uns ein Bier nach dem anderen einschenken. Was Manni nicht mag: uns nach Feierabend ein Bier nach dem anderen einschenken. 

»Jetzt hab‘ dich nicht so«, versuche ich seine Sturheit zu brechen, mit der er die Tür nur einen Spalt breit geöffnet hat. »Wir zahlen auch das Doppelte.« 

»Siehste det?«, fragt er, öffnet die Tür ein wenig mehr und zeigt auf den Tresen. »Blitzeblank geputzt. Den mach ick heut nich noch mal sauber.« 

»Dann trinken wir halt Flaschenbier.« Ich versuche, mich an ihm vorbeizudrücken. »Ok, das Dreifache.«  »‘N Zehner pro Flasche, dann bin ick dabei.«  »Kapitalist«, sagt mein Kumpel. 

»Gefahrenzulage«, sagt Manni. Er lässt uns rein und holt zwei Flaschen aus dem Kühlschrank. »Ick kenn euch Schnackeltüten doch. Einmal am Tresen festgequatscht, und ick bekomm euch vor Sonnenaufgang nicht raus. N‘ Glas dazu kostet ‘n Fünfer extra.«  

Wir stoßen lieber mit den Flaschenhälsen an. Manni trinkt was Alkoholfreies und erinnert sich. 

 

 

Es habe mit den beiden offenen Briefen angefangen, beginnt er. »Du warst der Meinung, dass die Alice Schwarzer aus Versehen den falschen Brief veröffentlicht hat. Den von vor dem Krieg. Und dein Kumpel hat gemeint, dass er einfach beide Briefe unterschrieben hätte. Meinungsvielfalt wär‘ wichtig, hat er gemeint. Und icke …«  Mein Kumpel und ich schauen ihn an. Manni lächelt. 

»Ick hab gesagt, über den Krieg darf man keene Witze machen.

Da sterben Tausende von Menschen und ihr diskutiert über Briefe.« 

»Stimmt«, gibt mein Kumpel zu, »aber das war kein Witz. Ich weiß wirklich nicht, welcher Brief besser ist. Ich habe noch nie über einen Krieg vor der eigenen Haustür nachgedacht, da darf man ja wohl noch seine Meinung ändern.« 

»Ändern ja«, sage ich. »Aber du hast ja beide unterschrieben.« 

»Genau das haste vorhin auch gesagt.« Manni schaut auf unsere Flaschen, aber die sind noch halbvoll. »Und dann seid ihr doch zusammen in den Krieg gezogen.« 

»Quatsch!«, ruft mein Kumpel. 

»Stimmt doch gar nicht!«, rufe ich. 

»‘Türlich stimmt det. Ick hab euch gefragt, was ihr tun würdet, wenn die Russen hier in Deutschland einmarschieren. Und? Beide habt ihr zugegeben, dass ihr dann det Land verteidigen wollt.« 

»Europa, habe ich gesagt«, sagt mein Kumpel. »Ich würde Europa verteidigen.«  

»Als Sanitäter«, sage ich, »das kann ich nämlich: Zivildienst ’88 als Schwesternhelfer im Markuskrankenhaus. Ich habe nämlich noch niemals eine Waffe …« Ich verstumme. Denn ich erinnere mich plötzlich, was er uns danach gefragt hat. »Bitte nicht schon wieder, Manni. Nicht wieder die Geschichte über deine missglückte Totalverweigerung.« 

Denn die hat er uns vorhin erzählt. Er habe sich auf die übliche Frage vorbereitet: Was würden Sie tun, wenn Sie das Leben Ihrer Mutter nur dadurch retten können, indem Sie den, der sie töten will, erschießen? Doch der Richter habe ihm eine andere Frage gestellt: Da hat einer zehn Menschen in seiner Gewalt. Zwei davon hat er bereits getötet. Sie könnten die anderen acht retten, indem Sie ihn erschießen. Würden Sie das tun?    

»Waren dann zum Glück nur zwölf Monate beim Bund«, sagt Manni wie vorhin, »und die hab ick fast nur inner Schreibstube verbracht.« 

»Aber das war ja nur eine hypothetische Frage. Würde, würde, Fahrradkette.« Mein Kumpel trinkt sein Bier aus. »Der Putin kann mit seiner lächerlichen Armee ja noch nicht mal die Ukraine …«  

»Vorsicht!« Manni klopft auf den Tresen. »Über den Krieg macht man keene Witze. Nicht hier in der Jammerbremse. Da sterben Menschen.«

»Hast ja recht. Aber sag, kann man bei dir auch mit Karte …?«  

 

*   

 

»Gut. Wir würden also in den Krieg ziehen.« Mein Bier ist jetzt auch leer. »Aber über was haben wir danach gesprochen?« 

Manni stellt zwei volle Flaschen vor uns. »Dein Kumpel wollte die Nato reformieren und die Weltgemeinschaft verpflichten, sich an alle humanitären Regeln zu halten. Wer sie bricht, wird geächtet.«  

»Ja«, gibt mein Kumpel zu, »das klingt doch gut.«  

»Und was heißt ächten?«, frage ich. »Krieg? Sanktionen? Waffenlieferungen? Oder nur ein Zeigefinger? Du, du, du …?«  

»Sei nicht so negativ. Da fällt uns schon noch was ein.« 

Manni grinst. »Jetzt hab ick wirklich ‘n Deschawü. Genau derselbe Dialog. Is wohl bald mal ‘ne Runde fällig.« Er dreht sich um und holt drei Schnapsgläser aus’m Regal. »Und du wolltest aus der Zukunft zurückschauen …«, sagt er zu mir. 

»Stimmt, aber das habe ich vorhin schon nicht verstanden«, sagt mein Kumpel. 

Ich würde es ihm gerne nochmal erklären, aber ich habe keine

Ahnung, was ich gesagt haben könnte. »Hilf mir«, bitte ich Manni. »Was habe ich damit gemeint?« 

»Utopie«, gibt er mir zur Antwort, während er die Gläser füllt. »Na, rappelt‘s im Karton? Oder muss ick dir noch mehr uff die Sprünge helfen? Kost ‘n Zehner extra.«  

Ich hätte vorgeschlagen, uns vorzustellen, wie die Welt in hundert Jahren aussehen soll, erklärt er. Ohne Nord-Süd-Gefälle, keinen Ost-West-Konflikt mehr, Solarzellen und mit Wasserstoff betriebene Autos, die wegen des giftigen Reifenabriebs keine Räder mehr haben, sondern schweben. 

»Gleichberechtigung, Menschenrechte, Frieden, Wohlstand – die janze Palette. Und für jedes Thema soll deiner Meinung nach eine internationale Kommission eingerichtet werden, die rückwärts denkt, von der Zukunft zurück in die Gegenwart. Um den richtigen Weg zu finden.«  

Ich bin baff. Das soll ich gesagt haben? Ich kann mich überhaupt nicht daran erinnern. Aber ab jetzt werde ich immer daran denken. 

»Das kann die Welt retten!«, rufe ich durch die offene Tür dem nächtlichen Berlin zu. 

»Lass es«, sagt mein Kumpel. »Das gibt ’n Shitstorm, den kannste dir nicht vorstellen!« 

»Wieso? Ist es nicht besser, in die Zukunft schauen, als nur daran zu denken, dass es sie vielleicht bald nicht mehr gibt?« 

»Stößchen«, sagt Manni und verteilt den Schnaps. 

 

* * *

 

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... trinkten wir uns schwach.

 

 

von Martin Schult (April 2022)

 

In der Jammerbremse gibt es solche und solche. Die einen drängen sich zwischen mich und meinen Kumpel, um lautstark am Tresen ein Bier zu bestellen oder »Zahlen!« zu brüllen. Die anderen sind höflicher, stellen sich neben uns und warten, bis Manni sie irgendwann bemerkt. Wenn nicht, werden sie auch laut.

Der kleine Mann steht nun aber schon seit einer Viertelstunde hinter uns, und da er wirklich klein ist, hat Manni ihn noch gar nicht sehen können. Und weil der Mann nicht nur klein ist, sondern auch noch ziemlich gefährlich schwankt, habe ich irgendwann Mitleid und gebe Manni ein Zeichen.

»Hugo, wat is?«, fragt er ihn.

»Ich möchte bitte zahlen«, sagt der kleine Mann mit leiser Stimme. »Ich trinkte vier kleine Bier, danke schön …«

»Gibt doch eh nur eine Größe«, unterbricht ihn mein Kumpel und schaut auf sein leeres kleines Glas. 

»Macht acht«, ruft Manni vom Zapfhahn aus.

»… und ich esste noch Erdnüsse, danke schön«, fügt der kleine Mann hinzu.

»Macht neun«, rechnet Manni, streckt die Hand aus, nimmt den Zehner und fragt: »Stimmt so, Hugo?«

»Bitte, danke«, antwortet er leise und geht mit unsicheren Schritten zur Tür. Als er weg ist, ist es so, als wäre er nie dagewesen.

 

*

 

»Ist der immer so?«, frage ich Manni.

»Der Hugo?« Er stellt uns zwei Frischgezapfte vor die Nase. »Bis vor kurzem war der noch ganz anders. Er is’n Pazifist, durch und durch. Doch seit der Ukraine hat sich sein Bierkonsum verdoppelt.« 

»Das meine ich nicht.« Ich nehme einen Schluck und ahme die leise Stimme nach. »Ich trinkte vier kleine Bier und esste Erdnüsse, bitte schön, danke schön.«

»Ach so, dette!« Manni lacht. »Sag ick doch, er is halt ’n richtiger Pazifist. Und deswegen hat er schon vor Ewigkeiten seine Sprache verändert. Det ganze Vokabular ausgetauscht – als Sportreporter, stellt euch det mal vor. Hat sich geweigert, zum Gerd Müller Bomber der Nation zu sagen. Da ham se ihn gefeuert. Und die starken Verben hat er einfach in schwache umgewandelt. Vor ‘nem halben Jahr hätte er euch noch davon überzeugt, mit auf ’n Ostermarsch zu gehen. Jetze aber hat ihn der Krieg und det Gebrüll mundtot gemacht.«

»Was sind denn starke Verben?«, fragt mein Kumpel. »Kämpfen? Schlagen?«

»Du Troll«, sage ich zu ihm. »Starke Verben sind die mit ‘nem Ablaut. Backen – buk – gebacken.« 

»Oder saufen – soff – gesoffen«, ergänzt Manni.

»Aber lachen – lachte – gelacht, das ist ein schwaches Verb. Ohne Ablaut. Auslachen übrigens auch.« Ich grinse und proste meinem Kumpel zu, aber der hat immer noch ein Fragezeichen auf der Stirn. »Und wozu soll das gut sein?«

»Na, det is ja mal ‘ne intelligente Frage.« Manni bringt ein paar volle Gläser ins Hinterzimmer und lässt mich mit der schwierigen Aufgabe, eine Antwort zu finden, allein.

 

*

 

Mein Kumpel hat die seltene Fähigkeit, zur falschen Zeit die falschen Fragen zu stellen. Und um zu verhindern, dass das Gespräch dann abbricht, versucht man verzweifelt, es wieder in Gang zu bringen. Da brauchst du starke Nerven. 

»Keine Ahnung«, gebe ich dennoch nach einer Weile zu und schwenke mein leeres und somit ziemlich traurig aussehendes kleines  Glas.

»Vielleicht stehen starke Verben ja für die Fähigkeiten, die man so im Allgemeinen hat«, überlegt er nun. »Wissen – wusste – gewusst.« 

Ich zucke mit den Achseln. »Vielleicht. Aber was ist dann mit pissen? Ist doch auch eine Fähigkeit.«

»Pissen – pusste – gepusst», versucht es mein Kumpel. »Das klingt doch gar nicht mal so schlecht! Als ich nicht mehr weiter wusste, pusste ich in die Rabatten.«

»Du bist echt ’n großer Dichter«, gebe ich zu.

»Aber lass det nicht den Hugo hören«, sagt Manni, der wieder hinterm Tresen steht und für uns zwei Bierchen zapft. »Wenn sich jemand über seine Art zu sprechen lustig macht, da kann der fuchsteufelswild werden.« Wohl bald mal ‘ne Runde fällig, höre ich ihn noch brummen, während er drei Schnapsgläser aus dem Regal holt.

»Wie kann denn – bitte schön, danke schön – ein Pazifist fuchsteufelswild werden?«, will mein Kumpel wissen.

»Vielleicht nennt er das anders«, überlege ich. »Hasenengelslieb.«  

»Oder weißetaubenbrav.« Manni grinst und stellt die Schnäpse auf den Tresen. »Frag ihn doch einfach selbst. Hugo kommt jeden Tag. Aber immer nur zu ’ner humanen Uhrzeit. Stößchen!«

 

 

* * *

 

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... wird aus einem Kumpel ein ...

 

 

von Martin Schult (März 2022)

 

 

»Ich bin nicht mehr dein Kumpel«, sagt mein Kumpel und trinkt sein Bier aus. 

»Bitte? Was habe ich dir denn getan?« Rasch kapituliere ich die letzten beiden Stunden. Als er die Jammerbremse betreten hat, habe ich ihn mit »Hey Alter, du siehst ja total verföhnt aus!« begrüßt. So sieht er erst einmal immer aus, wenn er Fahrrad fährt, man kann es ihm nicht abgewöhnen. Später habe ich mich über seinen Dialekt lustig gemacht – dreißig Jahre in Berlin und immer noch nordhessisches Schlappmaul!

»Mittelhessen«, hat er etwas aufgebracht geantwortet, »meinetwegen auch Zentralhessen, aber bitte: nicht Nordhessen! Ich bin doch kein Fuldaner!«

»Heißt det nich Fuldaer?«, fragte Manni, der hinterm Tresen Gläser polierte.

»Fang du nicht auch an!« 

Was keiner wissen darf: Mein Kumpel war drei Jahre bei einem Logopäden. Hat aber nichts genützt. Woher ich das weiß? Am Tresen in der Jammerbremse gibt es keine Geheimnisse. Hier wird alles besprochen.

»Ach, Kumpel, wir haben dich trotzdem lieb«, habe ich ihm also auf die Schulter geklopft und ihm das nächste Bier ausgegeben. Das war vor einer Viertelstunde. Danach hat mein Kumpel nichts mehr gesagt. Bis jetzt …

 

*

 

»Nichts haste mir getan«, antwortet er also. »An deine Witze habe ich mich ja längst gewöhnt. Aber ich mag das Wort nicht. Kumpel. Das ist so angestaubt. Als würden wir gemeinsam in irgendeinem Loch sitzen und Kohle abbauen.«

»Aber das tun wir doch auch«, sage ich. »Wir sind in einer Kneipe, in der seit Tschernobyl nicht mehr die Fenster geputzt wurden, und der Wirt zieht uns die Kohle aus den Taschen.«

»Vorsicht!«, ruft Manni und stellt uns zwei Frischgezapfte vor die Nase. »Ick hab schließlich nich wie alle anderen die Preise erhöht, seitdem der Putin in die Ukraine einmarschiert ist.«

»Trotzdem.« Mein Kumpel nimmt einen tiefen Schluck. »Ich mag es nicht mehr.«

»Gut.« Mein Schluck ist noch tiefer. Das ist so ein kleiner Wettbewerb zwischen uns; Wer ohne zu schlucken mehr Bier trinken kann. Einlauf, nennt Manni das. »Und wie soll ich dich jetzt nennen? Saufbruder?«

»Als würden wir immer nur trinken!« 

Ich höre aus seiner Stimme eine Enttäuschung heraus. Ich muss mir also mehr Mühe geben. Ohne dass er es sieht, google ich und finde Kollege, Genosse, Gefährte, Spezi …

»Spezi vielleicht?«

»Bin doch kein Mischgetränk!« Mein Kumpel steht auf und geht aufs Klo. Manni schaut mich an, als hätte ich sie nicht mehr alle.

»Kannste nich mal freundlicher sein?«

»Was würdest du denn sagen, Manni?«

»Keule«, schlägt er vor. »So sagt man det im Wedding.«»Keule?« Ich fasse es nicht. »Wie soll das denn gehen? Der Kumpel hier ist meine Keule? Ist doch Quatsch!«

»Na, denn Atze.«

»Atze? Ich soll einen Nordhessen Atze nennen?«

»Ok, das reicht.« Mein Kumpel hat zugehört, ohne dass ich es wusste. Er nimmt seinen Tabak, legt einen Zehner auf den Tresen und geht. Ohne ein Wort.

 

*

 

»Na, fein jemacht«, sagt Manni nach einer Weile. »Vertreibst mir hier die Stammkundschaft. Sorg‘ dafür, dass er wiederkommt, sonst bist du’s, der hier nüscht mehr kriegt.«

Ich rutsche vom Barhocker herunter und muss zugeben, dass mein Herz ziemlich stark bummert. Dann laufe ich meinem Kumpel hinterher. An der nächsten Straßenkreuzung fasse ich ihn an die Schulter.

»He, das war nicht so gemeint. Du weißt doch, zuviel Bier bekommt mir manchmal nicht.«

»Mach mir nichts vor. In cervisia veritas – der Spruch stammt schließlich von dir.«

»Ja, ja. Los, komm mit zurück in die Jammerbremse. Heut geht alles auf mich!«

Ich sehe ihn schief grinsen, aber als ich mein charmantestes Lächeln aufsetze, gibt er nach.

Am Tresen hat Manni schon drei Gläser Schnaps vorbereitet. Keine Ahnung, woher er wusste, dass ich es schaffen würde. 

»Und zapf meinem Freund doch gleich noch ein Bier«, sage ich zu ihm.

»Na, geht doch«, sagt mein Freund.

»Stößchen«, sagt Manni.

 

* * *

 

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... wünschten wir uns was.

 

 

von Martin Schult (Neujahr 2019)

 

Den Gänsebraten noch nicht ganz verdaut, so treffen wir uns nach den Weihnachtstagen auf ein Reparaturbier in der Jammerbremse. Nach dem zweiten Glas klopft sich mein Kumpel auf den Bauch und seufzt. »Heilig Abend! War ja ganz nett, aber trotzdem fühl‘ ich mich nicht wohl.«

Ich nicke und puste den Schaum vom Bier. »Kein Wunder. Wie viele Klöße waren es nochmal? Fünf …?«

»Das meine ich nicht. Es ist was anderes. Ich fühle mich irgendwie flach. Unbedeutend. So … so … so zweidimensional.«

»… und gestern an Sylvester ein halbes Rad Raclette.«

»Jetzt lass‘ das doch mal! Da versucht man einmal, dir was zu erklären, aber du …« Mein Kumpel zeigt mir seine Hände. »Was meinst du? Wie viele Finger hat Donald Duck an einer Hand?«

»Kinderquiz, oder was?« Trotzdem zögere ich kurz. »Vier?«

»Richtig. Und er trägt keine Hose, unten herum nur Federn. Jetzt stell‘ dir Obelix vor. Was fehlt dem?«

»‘Ne Obeline«, brummt Manni und stellt zwei frisch Gezapfte vor uns. Dieses Mal brauche ich wirklich länger.

»Achselhaare?«

Das bringt meinen Kumpel jetzt doch etwas aus dem Konzept. »Ja … vielleicht, ich meine aber was anderes. Er trägt eine Hose, aber … na? Was fehlt?«

Ich stelle mir Obelix‘ Hose vor: blau-weiß gestreift, sieht aus wie ein Ballon, aber ich komme nicht drauf, was mein Kumpel meint. »Einen Hosenschlitz?«

»Genau, Schlaumeier! Er … hat … keinen Pimmel.«

»Dann braucht er auch keene Obeline«, brummt Manni wieder.

»Okay«, gebe ich zu. »Aber ist das wirklich so schlimm? Er ist doch schließlich nur eine Comicfigur.«

»Der Biene Maja fehlt der Stachel, die Simpsons haben keine Augenbrauen und Kapitän Haddock von Tim und Struppi …«

»Jetzt hör‘ schon auf! Ich hab’s ja kapiert. Allen fehlt was.«

»Richtig.« Mein Kumpel nickt. »Alle sind reduziert. Und das sind nur Comicfiguren. Wenn du dich jetzt noch durch die Weltliteratur liest: alle sind nur so, wie der Autor es will. Alle zweidimensional. Frauen wie Männer. So wie ich. So wie du. So wie wir alle hier in der Jammerbremse.«

Er nimmt einen tiefen Schluck. Ich erstmal nicht.

 

Lange schweigen wir: Manni, weil er eh so gut wie nie etwas sagt, mein Kumpel, weil er darauf wartet, dass ich etwas sage, und ich, weil mir nichts einfällt, was ich sagen könnte.

Ich fühle mich nämlich überhaupt nicht so. Ich habe normale Hände mit fünf Fingern und schöne, dunkelblonde Augenbrauen, die ich mal wieder stutzen lassen müsste. Alles andere an mir ist ebenfalls so, wie es sein sollte, und mich gibt es in 3-D: Wie sonst sollte vor mir Manni hinterm Tresen stehen und unter mir mein Dackel Vivaldi neben dem Barhocker liegen? Er schläft, glücklich über die Leckerlis, die Manni ihm gegeben hat. Und hinter mir befindet sich die Kneipentür, durch die nun ein neuer Gast tritt.

»Frohet Fest!«

»Längst vorbei«, brummt Manni und zapft trotzdem ein Bier. Wie immer trägt Ecki seine Hertha-Kap­pe, die er niemals absetzt.

»Hey, ihr seid ja so schweigsam. Is jemand jestorben?«

»Ne«, murmele ich, »wir sind heute nur etwas zweidimensional.«

»Flach«, fügt Manni hinzu.

»Unbedeutend. Nur vier Finger an der Hand und keine Augenbrauen.« Das bin wieder ich. Mein Kumpel stöhnt nur.

»Keene Augenbrauen? Det hab ick och.« Ich schaue Ecki verdutzt an. »Haste det nie bemerkt?« Ich schüttele den Kopf. Er kommt mir ganz nah und wackelt mit den fehlenden Augenbrauen. Er hat ja noch nicht mal Wimpern! »Ick hab überhaupt keene Haare. Nie jehabt. Keene Augenbrauen, keen Haupthaar und och keen Schamhaar.«

Zum Beweis lüftet er erstmals, seit ich ihn kenne, die Kappe. Kurz reflektiert sich das Deckenlicht auf der glatten Kopfhaut. »Ick bin ‘ne Laune der Natur, wie Mutter Ecki sagt. Is ‘ne Art Jen-Defekt. Und Vattern hat damals sogar ‘n paar Schnäpse jebraucht.«

»Dann fehlt ja jetzt nur noch Donald Duck und die Biene Maja«, sage ich und starre weiter auf die Hertha-Kappe.

»Und Obelix«, brummt Manni.

»Mensch!«, ruft mein Kumpel dazwischen. »Das waren doch nur Beispiele!« Er rutscht vom Hocker und stellt sich breitbeinig hin. Vivaldi wacht auf und knurrt ihn an. »Was ich meine: Ich will endlich dreidimensional sein! Das habe ich mir für’s neue Jahr vorgenommen. Mit allen Ecken und Kanten!« Da breitet er auch noch die Arme aus und schaut an die Decke. »Ein richtiger Mensch!«

Wir anderen mustern ihn, wie er da so seltsam herumsteht.

»Biste doch«, brummt Manni und zapft Nachschub.

 

Aus dem schönen Abend, an dem wir einfach nur die Nachwirkungen von Weihnachten und Sylvester wegtrinken wollten, ist auf einmal eine handfeste Krisensitzung geworden.

»Ihr müsst es doch auch merken«, versucht es mein Kumpel noch mal. »Sobald ich in der Jammerbremse bin, komme ich mir vor, als würde ich in einer Filmkulisse stehen, oder auf einer Theaterbühne. Und als würden wir alle nur Teil einer Geschichte sein, die von einem halbwegs talentierten Schriftsteller geschrieben wird.«

»Stimmt ja vielleicht och«, brummt Manni. »Die Welt steckt voller Wunder und Jeheimnisse.«

»Und was wäre schlecht daran?«, frage ich. »Wäre doch cool, wenn jemand darüber schreibt, was wir hier so reden.«

»Nee nee nee«, meint Ecki. »Dann wüssten ja jetze alle, dass ick keene Körperbehaarung habe.«

»Richtig«, sagt mein Kumpel, »und trotzdem gäbe es so vieles, was die nicht über uns wüssten. So‘n Schriftsteller schreibt ja nur auf, was für ihn interessant ist. Und das, was ihm fehlt, erfindet er einfach. Das ist wie dein Facebook-Account, nur andersherum. Da stellst du nur tolle Sache von dir rein, damit keiner deine schlechten Seiten kennenlernt. Aber wo ist die Mischung? Wo ist das wahre Ich? Alles ist nur noch erfunden!«

»Naja, det macht doch heutzutage jeder«, brummt Manni. »Selbst die Journaille. Dann darf det so’n Schreiberling erst recht.«

Doch mein Kumpel winkt ab und fängt zu flüstern an, als würde uns so‘n Schreiberling tatsächlich belauschen. »Er würde uns so beschreiben, wie es ihm passt. Aber wir sind anders. Wir haben Geheimnisse, aber vor allem: Wir haben unser eigenes Leben!«

Ich schaue nach oben und in die Ecken, als könnte ich irgendwo dort diesen Schriftsteller entdecken. Sich vorzustellen, dass uns jetzt jemand beobachtet … ich setze mich gerade hin. Mein Kumpel aber greift plötzlich nach seinem Bier, kippt es auf ex runter und schmeißt das Glas gegen die Wand. Vivaldi bellt die Scherben an und verzieht sich unter einen Tisch.

»Habt ihr gesehen? Das hätte er jetzt bestimmt nicht gewollt. Ihm wäre es doch lieber, wenn ich am Tresen sitze und jammere. Mensch, wacht auf, wir können uns wehren, wenn wir nur wollen!«

Ich lasse die letzten Worte meines Kumpels auf mich wirken und frage mich, gegen wen wir uns eigentlich wehren sollen. Den Schreiberling gibt es ja gar nicht. Ecki aber setzt ein zweifelndes Gesicht auf und kratzt sich unter seiner Kappe. »Dein Kumpel hat vielleicht Recht. Wenn ick hierher komme, dann lasse ick den wahren Ecki immer draußen.« Er deutet mit den Finger zur Tür. »Da steht er dann und wälzt die Probleme, die ick nicht mit reinnehmen will. Und überhaupt: Wat wisst ihr schon über mich? Würdet ihr mir glauben, dass ick stricken kann?« Zwei Jahre Jugendknast, fügt er hinzu. »Wenn du da nich wat für’s Leben lernst, wo sonst?«

»Stricken kann ick och«, brummt Manni. »Polytechnischer Unterricht.« Ich schaue ihn verdutzt an. Manni kommt aus dem Osten? Ich brauche noch ein Bier und wedele mit dem leeren Glas.

»Bald mal ‘ne Runde fällig«, brummt er und bückt sich.

 

Der erste Schnaps am Abend brennt in der Kehle. Der nächste würde noch halbwegs weich hinterher rutschen, doch ab dem dritten wird es problematisch. So war es immer und ich weiß, dass ein Schriftsteller das nicht erfinden kann. Das ist einfach nur wahr.

»Ich habe ja mal ein Interview mit so einem Schreiberling gelesen«, sage ich, nachdem ich das Brennen mit einem frischen Bier gelöscht habe. »Das Schönste am Schreiben sei es, wenn die Protagonisten sich selbständig machen, hat er gesagt.« Ich kann ihn sogar noch zitieren. »Das ist so, als würdest du nicht mehr selbst schreiben. Als würde eine unbekannte Macht deine Finger lenken

»Was für ein Angeber«, sagt mein Kumpel.

»Ick find det sympathisch«, meint Ecki. Manni brummt so was wie Opportunist. »Hey, det heißt doch nur, dass so‘n Schreiberling es jut findet, wenn wir unser Schicksal selbst in die Hand nehmen. Wenn wir so jut sind, dass er nix erfinden muss.«

»Und wie soll das bitte schön gehen?«, frage ich nach einer Weile. »Sollen wir jetzt gute Menschen werden, oder was? Sollen wir uns etwa das für‘s neue Jahr vornehmen?«

»Nicht mehr rauchen?«, sagt mein Kumpel.

»Keen Alkohol mehr?«, brummt Manni.

»Im Sitzen pinkeln?«, schlage ich vor.

»Quatsch!«, sagt Ecki. »Dann würde so‘n Schreiberling doch erst recht wat erfinden. Nee, Jungens, wir müssen einfach nur besser werden, unhervorsehbaret tun, schlagfertig sein. So wat halt.«

»Wie anstrengend«, brummt Manni in die Stille und bückt sich wieder nach dem Schnaps im Gefrierfach.

»Nicht mehr auf dem Sofa abhängen und durchs Fernsehen zappen?«, überlege ich.

»Doch«, sagt Ecki, »genau det darfste weiterhin tun. Aber du musst halt noch besser abhängen als vorher.«

»Wie soll das denn gehen?«, murmele ich, aber mein Kumpel funkt dazwischen.

»Das ist genial! Leute, wir werden einfach sowas von gut dieses Jahr! Und dann kommt vielleicht wirklich jemand vorbei und schreibt über uns …«

»… oder lasst uns det selbst uffschreiben!«, ruft Ecki und wirft seine Kappe – endlich! – in die Luft. Die ganze Glatze glänzt. »Und hey, wir werden ab sofort die unglaublichsten Dinge machen und Weisheiten von uns geben, da werden die Piepel staunen!«

Und genau in dem Moment macht es Klick bei mir. »Helden!«, sage ich laut, »wir werden Helden sein, Könige! Wir werden mit Delphinen schwimmen und wir können jeden schlagen. Und das nicht nur für einen Tag, sondern immer. Das ganze Jahr lang!«

»Neue Runde, neuet Glück«, brummt Manni und stellt die Gläser auf den Tresen.

»Besser werden!«, sagt mein Kumpel und hebt das Schnapsglas.

»Besser werden!«, sagen Ecki und ich gleichzeitig.

»Stößchen!«, sagt Manni und prostet uns zu.

 

* * * *

 

F r o h e s N e u e s J a h r !

 

 

bierglas    

 

... sondierten wir bis zum Morgengrauen.

 

 

von Martin Schult (Januar 2018)

 

„Ich stelle also fest“, sagt mein Kumpel mit erstaunlich sicherer Stimme, „dass wir zu einem Ergebnis gekommen sind.“

„Hört, hört!“, ruft der alte Mann neben uns am Tresen.

„Prost drauf“, lalle ich.

„Dann ist ja bald mal ’ne Runde fällig“, murmelt Manni und sucht im Eisschrank schon mal nach dem Schnaps. Mein Kumpel bringt uns mit einem Wisch zum Schweigen.

„Folgendes haben wir also vereinbart: Wir tun alles dafür, damit diese Sondierungen um einen wichtigen Punkt ergänzt werden: Die Grünen und die FDP müssen mit an den Tisch!“

„Hab‘ ick da echt zujestimmt“, fragt Manni mich leise.

„Du hast immer genickt, wenn er was gesagt hat“, sage ich und drehe mich wieder zu meinem Kumpel um. Ich schaue fasziniert zu, wie er den entscheidenden Anlauf nahm, abspringt und mit beiden Beinen auf dem Tisch landet – etwas unsicher, aber mit einer bei seinem Pegelstand beeindruckenden Flughöhe.

„Lang lebe die RiKo!!“

„Auf die RiKo!“, rufe auch ich.

„Hört, hört!“, sagt der alte Mann.

„Nee, nee, nee“, meint Manni und packt den Schnaps wieder ein.

 

„Was’n los?“, fragt mein Kumpel.

„Nee, darauf hab ick keenen Bock.“

„Wieso denn nicht? Die Riesen-Koalition! Alle außer diesen Idioten machen mit. Is doch geil!“

„Nee“, sagt Manni ein drittes Mal, „geht denn det nich allet auch ’n bisschen leiser? Kann man doch nicht mehr hören, det Geschrei. Lass‘ die Merkel und den Schulz doch erst mal machen! Ick muss mir mit meiner Alten doch auch einigen. Det kann doch nicht so schwer sein!“

Ich bin beeindruckt. Manni ist eher einer von der schweigsamen Sorte. Heute aber: Chapeau! Und wie er am Ende noch mal richtig laut wird. Mein Kumpel jedoch, der gibt nicht auf.

„Aber das tut die RiKo doch. Die müssen immer einen Kompromiss finden und zwar alle zusammen.“

„Jaja, ick weeß, Kompromiss ist det neue Zauberwort. Aber hier isset doch auch nicht anders: Wer am lautesten brüllt, setzt sich am Ende durch. Ham wa doch gerade erlebt.“

„Nee, eben nicht“, sagt mein Kumpel.

„Genau“, sagt ich.

„Hört, hört!“

„Stopp“, sagt Manni und augenblicklich, obwohl er das sehr leise gesagt hat, sind wir alle still. Und dann hebt Manni auch noch den Zeigefinger.

„Wenn de jetze wieder mit so ’ner Pointe kommst, so wie der Hallervorden mit seinem gespielten Witz, dann kannste dir die Jammerbremse von draußen ansehen. So, jetze is eh Schicht, keene Runde mehr, keen Stößchen, alle heim zu Muttern.“

 

„Was hat der Manni nur?“, fragt mein Kumpel, als wir draußen vor der Kneipe noch um ein paar Fläschchen Bier herumstehen. „Wir waren uns doch alle einig.“

„Hö…“, setzt der alte Mann an, aber ich unterbrecht ihn.

„Du bist jetzt mal ruhig, Alter. Sonst wirst du weggeseehofert.“ Der alte Mann murrt und schlurft davon. Es ist ziemlich kalt hier draußen. Und der Morgen graut schon.

„Irgendwie hat er doch Recht“, sage ich über Manni, „da einigen sich vier Parteien fast und dann – nix. Danach sind dreie dran – wohl wieder nix. Und du willst fünfe? Das wird doch erst recht – nix.“

Mein Kumpel nimmt einen tiefen Schluck. Wir ziehen an unseren Zigaretten. Die Sonne kommt raus. Und das im Winter.

„Aber ich fand’s gut“, sagt mein Kumpel nach einer Weile.

„Was denn?“

„Na, die RiKo. Alle müssen sich einigen.“

„Dann brauchst du aber kein Parlament mehr, wenn alle alles schon vorher bequatschen. Dann lieber was mit ‘ner Minderheit.“

„Aber es klingt doch so hübsch“, sagt mein Kumpel mit einer leichten Melancholie in der Stimme: „RiKo …“

„Klingt nach gespieltem Witz,“ sage ich und knalle meine Flasche an seine. „Dafür aber: Stößchen!“

 

   

bierglas    

 

... ließen wir Jamaika platzen.

 

von Martin Schult (November 2017) 

 

Sag' mal“, sagt mein Kumpel, „was haste eigentlich gewählt?“

Wir stehen vor der Jammerbremse. Wir rauchen. Wir schauen dem Mond beim Wandern zu. Es ist kalt, aber in der Kneipe herrscht eine Tropenhitze. Irgendwas mit der Fernwärme ist nicht in Ordnung, hat Manni gesagt. Zu viel Druck oder so. Nicht mehr regulierbar...

Ich schüttele den Kopf. „Wahlgeheimnis.“

Wieder schweigen wir, rauchen und sehen dem Mond beim Wandern zu … bis ein großer schwarzer Hund angedackelt kommt, uns freundlich anhechelt und sich dann am Eingang der Jammerbremse herumdrückt.

„Geh‘ da lieber nicht rein“, sage ich zu ihm. Barack ist ein Gemisch aus Generationen von Straßenkötern. Er gehört zu Mariam, der Kioskbesitzerin um die Ecke. Kreuzberger Labrador. So hat sie die Rasse getauft.

„Warum denn nicht?“

Jetzt kommt auch Mariam auf uns zu. Sie ist die Tochter geflüchteter Kurden und geht jedes Jahr ins Schweigekloster. Den Rest des Jahres, also 340 Tage, nimmt sie kein Blatt vor dem Mund. Auch sie ist in Kreuzberg aufgewachsen, wie ihr Hund. Hier im Wedding hattsie es deswegen nicht leicht. Deswegen Barack.

„Fernwärme“, klärt mein Kumpel sie auf, „da drinnen ist das Höllenfeuer ausgebrochen. Heiß wie auf Jamaika.“

„Scheiße. Ich kann das Wort echt nicht mehr hören!“ Mariam legt sich die Hände auf die Ohren und geht rein. „Das geht doch eh in die Hose“, ruft sie noch.

Wir schweigen. Wir rauchen. Der Mond ist hinter Wolken verschwunden. Und so gehen wir rein. Trotz Jamaika … oder gerade deswegen. Warum sollte es in die Hose gehen …?

 

„Ich stelle mir Jamaika so vor“, beginnt Mariam, nachdem sie einen tiefen Schluck aus ihrem Alster genommen hat, „die FDP schlägt was vor, die Grünen sagen was anderes, die CSU schimpft und die Merkel wartet ab.“

„Klingt fast wie GroKo“, ruft mein Kumpel dazwischen. Manni brummt und stellt Barack eine Schüssel Wasser vor die Schnauze. Wir nicken seiner hochgezogenen Augenbraue zu. Ja. Bier. Bitte! Es ist die Hölle heiß – fast zu heiß für die kleinen Gläser Bier, die Manni ausschenkte …

„Dann kommt die SPD und schimpft auf Jamaika. Die AfD macht einen völlig blödsinnigen Vorschlag. Danach schimpfen alle auf die AfD, anschließend lenken die Grünen ausnahmsweise ein und die FDP will das mit der Abschaffung des Soli verbinden. Die Merkel spricht mit dem Seehofer und dann schimpft die SPD wieder. Und die Linken. Und weil die AfD auch wieder schimpft, entscheiden sich die SPD und die Linken, nicht mehr zu schimpfen. Dafür aber schimpft jetzt dieser Christian Lindner. Und so …“, Mariam trinkt ihr Alster aus, „… gehen die Monate dahin …“

„Das ist kein Jamaika“, seufzt mein Kumpel und trinkt ebenfalls sein Glas leer, „das ist Jammermaika.“

„Lass‘ det Wort Jammer aus‘m Spiel“, brummt Manni und stellt volle Gläser hin, „det Wort jehört allein zur Jammerbremse.“

„Aber es ist doch zum Jammern.“

„Dann sach halt Trauerspiel. Ist doch eh Quatsch: Politik nach Farben. Selbst schuld, wenn ihr so wat jewählt habt.“

„Was heißt das denn?“, fragt mein Kumpel, „hast du etwa …“

„Nee, ick war jar nich wählen.“

 

Totenstille. Man hört nur Barack schlabbern. Ich schwitze. Ich zünde mir eine Zigarette an. Durch die offene Tür weht eine schwache Hoffnung Abkühlung. Und der Mond scheint auch wieder.

Mein Kumpel findet als erster seine Sprache zurück. „Wie? Du warst nicht wählen?!“

„War ick halt nicht …“

„Dann hast du denen doch direkt in die Hände …“

Manni hebt die Hände. „Jetze mal janz ruhig!“

„Ja, aber …“, setzt mein Kumpel noch mal an, doch Manni bleibt stur.

„Ick hab‘ det halt nich so mit die Parteien, verstehste? Gelb, rot, schwarz, grün – wer legt det eigentlich fest? Blau war mal meine Lieblingsfarbe … und dann kommt einfach jemand und sagt, man wäre jetze blau. Scheiße!“ Manni schnappt sich ein Handtuch und poliert Gläser. Normalerweise redet er nicht so viel. Was das Schweigekloster für Mariam ist, ist für ihn und für mich die Jammerbremse. Schweigen und rauchen.

 

„Er hat ja recht“, sagt Mariam nach einer Weile, „das Parteiensystem ist total veraltet. Aber man könnte ja so’n Parlament auch anders zusammensetzen. Stellt euch mal vor: Wenn alle Mannis in Deutschland wählen gegangen wären und alle das gleiche gewählt hätten …“

„Warte, ich habe da so ’ne App.“ Mein Kumpel wischt auf seinem Mobiltelefon herum. „Hier, da steht‘s: In Deutschland leben 347 734 Manfreds.“

„… bei 60 Millionen Wahlberechtigten und 25% Nichtwählern“, rechnet Mariam, „sind 350 000 Stimmen ungefähr ein Sitz im Parlament.“

Ich überlege: „Das heißt, alle Manfreds zusammen haben einen Abgeordneten, wenn sie alle den gleichen wählen.“

„Manfred Kanter!“, ruft mein Kumpel, unterbricht sich aber gleich selbst: „Aber wie geil ist das denn?! Wir verbieten die Parteien und verteilen die Plätze im Parlament nach der Häufigkeit der Vornamen. Und alle 350 000 Mannis können dann ihrem Parlamentarier vorgeben, wofür und wogegen er stimmen soll.“

„Und man könnte jetzt schon planen, wer in 18 Jahren ins Parlament kommt“, sage ich. Und bis dahin würden jede Menge Kevins und Leons und Annas im Bundestag sitzen. Ich brauche noch ein Bier. „Schau doch mal nach meinem Vornamen.“

Mein Kumpel wischt und schüttelt den Kopf. „Sorry, aber das sind ja gerade mal 160 000.“

„Und wenn du die Martinas dazurechnest“, frage Mariam.

„Bald mal ‘ne Runde fällig“, brummt Manni und holt den Schnaps aus dem Eisfach.

„Sind es nur 60 000 mehr. Das reicht auch noch nicht.“

„Poor Boy“, macht Mariam, grinst und prostet mir zu.

„Aber du! Mariam! Mit so‘nem Namen gewinnst du ja noch nicht einmal einen Blumentopf“, sage ich zu ihr.

Manni gießt die Schnapsgläser voll und stellt sie auf den Tresen. Mariam schnappt sich ihres. „Egal, solange Namen wie Frauke auch keine Chance haben, ist mir das egal.“

„Scheißegal!“, ruft mein Kumpel.

„Stößchen“, brummte Manni und hebt sein Glas.

 

 bierglas

 

  

 

... lag ein Fragezeichen in der Luft?

 

von Martin Schult (Oktober 2017)

 

„Haste ja jar nich!“
„Hab ick doch!“
„Haste nich!“
„… doch …“ 

Ich klopfe in der Jammerbremse auf den Tresen und ziehe meine Jacke aus. Manni brummt und zapft mir ein Bier – aber so langsam und dermaßen umständlich, dass dadurch so etwas ähnliches wie ein Fragezeichen entsteht, das durch die Luft schwirrt und mich vorwurfsvoll ansieht. Warum bist du gerade heute so spät, scheint es zu sagen. 

„Kannste ja auch jar nich haben!“
„Kann ick doch!“
„Eben nich!“
„Und warum nich?“
„Weil ick det hab.“ 

Endlich stellt Manni mir das Bier vor die Nase. Ich nehme einen tiefen Schluck. 

„Scheiß Verkehr“, sage ich. Heutzutage steht man in Berlin selbst als Radfahrer im Stau. Mein Kumpel ist auch noch nicht da. Dafür die beiden anderen links neben mir, zwei Fünfzigjährige, fest verwachsen mit ihren Barhockern, die kleinen Biere vor ihnen halb ausgetrunken.  

In der Jammerbremse gibt es nur kleine Biere. Besser frisch als schal, hat Manni mit Kreide auf eine Tafel geschrieben. „Außerdem trinkt ihr dann mehr“, hat er einmal gesagt, „mindestens sechse.“ Und jetzt nickt er zu denen rüber. 

„Det jeht jetze schon seit Stunden so. Keene Ahnung, wovon die reden.“ Er sieht ein wenig verzweifelt aus. 

„Ick gloob dir keen Wort.“
„Kannste aber.“
„Tu ick aber nich.“
„Na, denn lasset.“ 

Während Manni mir das nächste Bier zapft, zähle ich im Stillen all das auf, worüber die beiden wohl sprechen könnten. Neues I-Phone? AfD gewählt? Krebserkrankung? Oder doch die Lösung für den Weltfrieden gefunden? Es könnte alles sein … 

„Denn wenn de nämlich det hättest …“ 

„Mensch, worüber sprecht ihr eigentlich?“, unterbreche ich sie und drehe mich zu ihnen. Sie schauen mich böse an. 

„Det jeht dir jar nüscht an!“
„Jenau, unser Ding!“
„Halt dir da raus, sonst …“ 

„Ist ja gut, ist ja gut.“ Ich drehe mich wieder um und nippe an meinem neuen Bier. Die beiden Männer zählen ihr Kleingeld durch und werfen ein paar Münzen auf den Tresen. 

„Kann man sich nich mal in Ruhe unterhalten“, sagt der eine.

„Scheißladen“, sagt der andere. Dann gehen sie.  

Manni stellt zwei Schnäpse auf den Tresen und nimmt sich einen davon. Mein Kumpel kommt rein und klopft auf den Tresen. 

„Sorry, scheiß Verkehr.“ 

„Und?“, frage ich ihn. Er holt den Schein raus und zerreißt ihn vor unseren Augen. „Wieder nur zwei Richtige. Hab‘ ich was verpasst?“ 

„Stößchen“, sagt Manni.

  

    bierglas    

 

 

... gründeten wir eine Partei.

 

von Martin Schult (September 2017)

 

Da sitzen wir in der Jammerbremse und einer am Tresen erzählt was von Wirtschaftsflüchtlingen: „Die sind mir lieber als Asylsuchende. Die wollen wenigstens arbeiten.“

Manni, der Wirt, schüttelt den Kopf und nimmt dem Kerl sein Glas weg. „Du immer mit deiner schwachsinnigen Denke! Wenn man will, kann man nämlich jenau det Jegenteil behaupten. Da kann keener wat dajegen tun.“

„Keine Ahnung, was du meinst, Manni. Gib mir mein Bier wieder!“

„Erst wenn de zugibst, dass det Scheiße war, was du gerade jesagt hast.“ Mein Kumpel und ich sind baff. Normalerweise sagt Manni nicht so viel.

„Ich kann sagen, was ich will!“

„Und ick kann mir aussuchen, wem ick wat zu trinken jebe.“

„Kannst mich mal“, sagt der Kerl, klopft aufs Tresenholz und packt seine Kippen ein. „Ich bin jetzt auch einer.“

„Ein was?“, frage ich. Wir sehen ihn an.

„Ein ‚Wirtschafts‘-Flüchtling.“

Und dann geht er. Aus der Jammerbremse. Ohne zu zahlen. Und wir drehen uns zu Manni um. Der zuckt nur mit den Schultern. „Det sacht er jeden Tag. Morgen isser wieder da.“

Dann zapft er uns noch zwei.

  

„Wie hast du das übrigens gemeint“, fragt mein Kumpel.

Manni lacht. „Du bist jut. Wat von dem janzen Müll, den ick von mir gegeben hab, meinste denn?“

„Na, das mit den Behauptungen. Dass man sie einfach umdrehen kann.“

„Stimmt det etwa nicht?“ Manni beugt sich vor und drückt meinem Kumpel den Zeigefinger gegen die Brust. „Kannst ja behaupten, dass Wirtschaftsflüchtlinge faul sind. Aber weil de det nicht beweisen kannst, kannste jenauso jut auch det Jegenteil behaupten. Is nur ‘ne Frage der Perspektive. Es jibt immer mehr als nur eine Alternative.“

Schweigend trinken wir unser Bier. Und Manni schweigt jetzt auch ...

„Alternative“, brumme ich.

„Ich kann dieses Wort echt nicht mehr hören“, sagt mein Kumpel.

Ich nicke. „Früher, da gab’s noch ‘ne Alternative Liste, hier in Berlin. Da hat das Wort noch nach vorne gedeutet. Aber jetzt …“

„Aber das ist doch alles Merkels Schuld. ‚Meine Politik ist alternativlos.‘ Ha!“ Mein Kumpel kann sie echt gut nachmachen. Selbst die Raute, die beherrscht er perfekt.

„Noch ’n Bier“, fragt Manni. Wir nicken.

  

„Holen wir es uns doch wieder“, schlage ich vor.

„Was sollen wir uns wieder holen?“, fragt mein Kumpel. Manchmal ist er etwasschwer von Begriff.

„Na das Wort: ‚Alternative‘. Niemand verbietet es uns, es selbst zu benutzen. Wir können sogar eine Partei gründen, die so heißt. DA: Die Alternative. Oder DAP: Die Alternative Partei.“

„Warum nicht einfach nur P? Partei?“

Ich schüttele den Kopf. „Gibt’s doch schon.“

„Macht doch nüscht.“

„Oder AfE“, überlege ich, „Alternative für Europa. Da kriegen wir bei den Wahlen automatisch fünf Prozent, weil bestimmt die Hälfte der AfD-Wähler an der falschen Stelle ihr Kreuz macht. Und dann behaupten wir einfach immer das Gegenteil von dem, was die AfD behauptet. Ist ja möglich. Hat ja der Manni gesagt. Solang man’s nicht beweisen kann.“

„Cool. Und unser Parteiprogramm ist das Grundgesetz. Damit ham wa ja schon das Gegenteil behauptet.“ Mein Kumpel hebt sein Glas und stößt mit mir an. „AfE-DGP: Alternative für Europa – Die Grundgesetz-Partei!

„Nee, klingt blöd“, sage ich ein paar Schlucke später, „aber was mit Freiheit und Frieden im Namen, das wär‘ nicht schlecht. Weil wir brauchen als Partei ja auch Visionen – und offen. Offen für alle! Das müssen wir sein.“

„Noch ’n Bier“, fragt Manni. Wir nicken.

  

Alternative für ein freies, offenes, friedliches Europa. Meinst du sowas?“

Ich nippe am ... ist das schon mein fünftes? ... Bier und bin beeindruckt, wie fehlerfrei mein Kumpel das noch aussprechen kann. „Ja, genau das mein ich. AfEfofE.“

„AfEfofE“, wiederholt mein Kumpel. Mehrmals. Und immer lauter. Es hallt durch die ganze Jammerbremse. Wir prosten uns zu.

„Ich find, ‘s klingt gut, oder?“

„Da werd‘n sich die andern Parteien echt wundern.“ Mein Kumpel lacht und zeigt auf Manni. „Wir machen denen so richtich Feuer unterm Arsch. Wir werden nämlich ganz nah am Menschen sein.“

„Wir sind die Menschen! Und bei uns kann jeder das behaupten, was er will ...!“

„... und das Gegenteil. AfEfofE!“

Wieder prosten wir uns zu und verhaken unsere Zeigefinger ineinander. Und dann umarmen wir uns. Ach, wir sind ja sowas von dicke!

„Bald mal ‘ne Runde fällig“, brummt Manni.

„Ich freu mich schon drauf, wenn der Zamperoni das in den Tagesthemen sagen muss“, sage ich.

Manni gießt die Schnapsgläser voll. Mein Kumpel lacht auf. „AfEfofE! Dann denken alle, er würde wirklich lispeln.“

„Das tut er doch gar nicht, oder?“

„Beweis‘ mir doch das Gegenteil.“

„Stößchen“, sagt Manni und die stellt die Gläser auf den Tresen.

 

"Neulich in der Jammerbremse ... gründeten wir eine Partei" wurde zuerst auf www.resonanzboden.com des Ullstein Verlags veröffentlicht. Dies hier ist eine aktualisierte Fassung.

   

 

bierglas    

 

... stieg die Eintracht ab.

 

von Martin Schult (Frühjahr 2017)

 

 

Da sitzen wir in der Jammerbremse und schalten unsere Mobiltelefone aus.

„Wie immer, Manni“, sagt mein Kumpel lässig, als wir uns auf die Barhocker setzen. Es funktioniert. Manni, der Wirt, stellt tatsächlich zwei Gläser Bier auf den Tresen. So oft sind wir nämlich noch nicht hier gewesen. Mein Kumpel und ich, wir stoßen an. Mit gebührendem Ernst trinken wir den ersten Schluck. Und dann schweigen wir.

 

„Wir waren heute Morgen bei IKEA“, sagte mein Kumpel plötzlich. Ich brumme und nehme einen weiteren Schluck. Die alte Bahnhofsuhr an der Wand zeigt 15.25 Uhr. „Die Hölle, sag‘ ich dir …“

„Geht die Uhr richtig?“ Manni nickt. Kneipjeh steht weiß auf schwarz auf seinem T-Shirt.

„… drei Stunden! Man verläuft sich ja immer. Und dann diese Selbstbedienungskassen, ha! Als ob das schneller gehen würde!“ Mein Kumpel zählt auf, was sie alles eingescannt haben und wieviel eine Packung mit 100 Teelichtern wiegen würde. Das könne man sich nämlich anzeigen lassen. Als ob das wichtig wäre. Darauf nehme ich einen tiefen Schluck. 15.30 Uhr. Jetzt geht‘s los.

„…und als wir wieder wegfahren wollten, hat uns ein lila Audi gerammt. Ausgerechnet ein Audi!“

Ich schaue meinen Kumpel fragend an.

„Audi … du weißt schon … Ingolstadt.“

Au Backe, denke ich und rufe schnell, „Alex Meier…“

„…Fußballgott“, antwortet mein Kumpel. Er schlägt sich gegen die Stirn. „Mann, ich hab‘s vergessen.“

„Habt ihr ‘ne Meise?“ Manni zeigt uns einen Vogel. „Ditte hier ist ‘ne Hertha-Kneipe!“

Ich schaue mich um. Kein Fernseher, keine Fahne, nicht mal ein Wimpel. Deswegen sind wir doch hierhergekommen. Ich sehe ihn fragend an. Manni lächelt – schüchtern, wenn man das bei diesem Kerl überhaupt sagen kann.

„Naja, is so’n Trick von mir. Ick bin ‘n Inkognito-Fan. Die Hertha kann nämmich nur jewinnen, wenn ick sie völlich ignoriere.“

Ich nicke. „Wie bei uns. Wir reden auch nicht über unsere Mannschaft. Das bringt nur Unglück. Wir dürfen nicht mal das Wort Eintracht in den Mund nehmen.“

„Alex Meier…“, ruft mein Kumpel.

„…Fußballgott“ rufe ich. „Sorry, Kumpel.“

„Deswegen die Handys?“ Und als ich wieder nicke, hält Manni die Hand auf. Ich gebe ihm mein Mobiltelefon und mein Kumpel zieht seins auch aus der Hosentasche. Manni legt beide ins Kühlfach.

„Ist sicherer. Da liegt meins auch drin.“

 

„Früher“, sagt Manni um 15.33 Uhr. „Früher, als ick noch ins Stadion bin, da hab‘ ick vor jedem Spiel ‘ne Bratwurst jefuttert – keene Currywurst oder so’n Kwatsch – nee, ‘ne richtige Thüringer ...“

„Toll“, brummt mein Kumpel. Was anderes hätte ich auch nicht dazu sagen können.

„... mit Senf.“

„Hm.“

Manni nimmt meinem Kumpel das Bierglas weg und starrt ihn wütend an. „Lass‘ mir doch erst mal ausreden, Mensch! Wenn ick nämlich die Wurst mit drei Bissen hab‘ aufessen können, dann hat die Hertha mindestens Unentschieden jespielt.“

„Und wenn nicht?“

„Na, dann ham wa verloren.“ Er stellt das Glas zurück. Mein Kumpel nimmt einen Schluck.

„Jetze jeht det nich mehr.“ Manni klopft sich auf den Bauch. „Cholesterin.“

„Deswegen jetzt inkognito?“

Manni nickt. Ich erzähle ihm meine Lieblingsgeschichte. Und die ist mindestens genauso wahr wie seine. „Ich kenn‘ einen in Frankfurt, der macht sowas ähnliches. Wenn der drei Handkäs‘ isst, hintereinander, dann verliert die Eintracht auch nicht.“

„Was’n ditte – Handkäs‘?“

„Harzer“, sagt mein Kumpel, „mariniert und mit Zwiebeln und Kümmel serviert. Ist was ganz feines. Aber bläht.“ Und dann erzählt er uns von seiner Frau und wo sie hier in Berlin Harzer Käse kaufen würde. Das wäre nämlich gar nicht so einfach. Denn wenn er drinnen noch weiß wäre, der Harzer, könnte er nicht richtig weich werden. Dann würde der Handkäs bröselig werden. Aber in Steglitz, da beim Käse-Klaus … ich höre nicht mehr hin. 15.40 Uhr. Ob schon was passiert ist?

 

15.45 Uhr.

Ich nicke Manni zu. Der zapft mir noch eins. Das Bier meines Kumpels ist noch halbvoll. Der redet und redet und ist schon wieder auf dem Parkplatz von IKEA. „Dieses lila Auto, ich meine, jetzt mal ehrlich, wer fährt schon ein lila Auto?!“

„Nur eener aus Charlottenburg.“ Als wir Manni fragend ansehen, ergänzt er: „Tennis Borussia – die Weicheier aus’m Westend.“

„Ich denk‘, die Hertha ist aus Charlottenburg?“ Wieder nimmt Manni meinem Kumpel das Bier weg und sticht mit dem Zeigefinger auf dessen Brust. Bei jedem Wort.

„Die Hertha wurde auf ‘ner Parkbank auf’m Arkonaplatz gegründet. Det weiß doch jeder. Und jespielt ham wa hier um die Ecke, an der Plumpe am Jesundbrunnen. Bis 1963.“

Die Tür geht auf. Ein Mann mit einer Hertha-Fahne kommtherein. Die spielen heute gegen die Bayern.

„Raus!“, ruft Manni.

„Sachte, sachte, Manni. Das ist hier ein freies Land!“, sagt der Typ.

„Dann stell‘ den Lappen da hinten inne Ecke. Und erzähl‘ mir ja nich, wie es steht!“

Mein Kumpel und ich, wir beobachten, wie der Typ die Fahne abstellt. Dann kommt er an den Tresen und nickt uns zu. „Ha, die beiden Eintracht-Fans. Na, mal wieder am Leiden?“

Manni stellt ihm ein Bier vor die Nase. Der Typ schaut auf sein Mobiltelefon und grinst. Wir schauen ihn an. Er sagt nichts. Absolut nichts. 16 Uhr.

 

Halbzeit. In dem Pissoir hängt eins dieser Plastiktore. Man kann gegen einen baumelnden Ball pinkeln. Ich denke an Alex Meier und treffe aus allen Winkeln. Bald wäre er weg. In die USA will er gehen. Wieder eine Ära zu Ende. Eigentlich schade.

 

16.35 Uhr.

„Haha“, macht der Typ am Tresen, „jetzt wird’s knapp für die Eintracht!“

Manni schüttelt den Kopf und nimmt ihn sein Glas weg. Er zeigt auf uns. „Du weißt janz jenau, dass die beiden nix davon hören wollen.“

„Gib mir mein Bier wieder!“

„Erst wennde dein Handy ausschaltest.“

„Ich kann machen, was ich will! Das hier ist ein freies Land.“

„Du wiederholst dir. Und ick kann mir aussuchen, wem ich wat zu trinken gebe.“

„Kannst mich mal“, sagt der Typ, „lässt hier zwei Eintracht-Fans rein und mich schmeisste raus? Kannste haben.“ Er klopft aufs Tresenholz und packt seine Kippen ein. Und dann geht er. Ohne zu zahlen. Wir sehen den Wirt an. Der zuckt nur mit den Schultern.

„Morgen isser wieder da.“

Dann zapft er uns noch zwei.

 

Um 16.45 Uhr halte ich es nicht mehr aus. Hätte ich mein Telefon gehabt – ja, ich gebe es zu, ich hätte es angeschaltet. Noch eine halbe Stunde und ich male mir alles Mögliche aus. Wahrscheinlich steht es schon 2:0 für Ingolstadt, Alex Meier haben sie bestimmt ausgewechselt und Nico Kovac auf die Tribüne geschickt – ich will das alles gar nicht wissen!

„Wir steigen sowieso ab“, murmele ich und nehme einen tiefen Schluck.

„Alex Meier…“

„Jetzt lass‘ das doch mal“, sage ich zu meinem Kumpel.

„Na wenn du so’n Blödsinn erzählst“, sagt mein Kumpel. „Wir sind Dritter und haben 35 Punkte. Und das nach 20 Spieltagen. Besser geht’s kaum.“

„35 Punkte – was heißt das schon? 40 braucht man, um definitiv nicht abzusteigen. Das weiß doch jeder. Fehlen also noch fünf. Und wenn wir weiter so schlecht spielen, überholen uns noch die Darmstädter.“

„Da ist ja jetzt der Frings Trainer.“

Ich nicke. „Der Lutscher. War doch sein Spitzname, oder?“

Mein Kumpel nickt. „So hat der Andi Herzog ihn genannt. Und in Würselen ist er geboren, der Frings. Wie der Martin Schulz.“

„Was du alles weißt“, sage ich, „aber das macht es auch nicht besser.“ Ich schaue auf die Uhr. Noch zwanzig Minuten.

„Noch ’n Bier“, fragt Manni. Wir nicken.

 

Darf ick euch mal wat fragen“, fragt unser Wirt um Punkt 17 Uhr.

„Haste doch jetzt.“ Mein Kumpel kichert und hört gar nicht mehr auf damit. Ich stupst ihn an. Mit Wirten soll man sich gut stellen. Ich denke an den Hertha-Fan.

„Warum seid ihr Eintracht-Fans eigentlich immer so pessimistisch? Da spielt ihr die beste Hinrunde seit Jahren und glaubt trotzdem, dass ihr absteigt.“

„Ich nicht“, sagt mein Kumpel.

„Weil es schon mal so war“, erkläre ich, „2010/2011. Die Rückrunde der Schande. Wir hatten in der Hinrunde 26 Punkte. Wir waren so gut wie lange nicht mehr. Und weißt du, was der Bruchhagen, unser Präsident, dann gesagt hat?“ Ich verstelle meine Stimme. „Wir sind Siebter, und es wäre dumm, wenn wir nicht versuchen würden, Fünfter zu werden. Absteigen können wir nicht mehr.‘ Wir alle haben ihm geglaubt.“

Ich hole kurz Luft und brülle „Der OFC fährt nur nach Baunatal!“ Das hilft manchmal. Manni stellt mir ein neues Bier hin.

„Und dann kamen nur noch acht Punkte dazu: Abstieg.“ Ich schaue meinen Kumpel wissend an. „Die Eintracht ist in der Rückrunde immer schlechter als in der Hinrunde. Das ist wissenschaftlich bewiesen. Bei der Eintracht ist immer alles möglich. Die Eintracht ist ‘ne Diva.“

„Jaja, ewig grüßt das Murmeltier.“ Aber mein Kumpel muss mir Recht geben. Das war Tatsache. Den Spielern gehen in der Rückrunde die Kräfte aus, heißt es dann immer von den Trainern, und das sind nicht wenige gewesen in den letzten Jahren. Trotzdem schüttelt mein Kumpel den Kopf. „Kannst ja Hertha-Fan werden, wenn‘s dich stört.“

Ich nehme einen tiefen Schluck aus meinem Bierglas und rülpse. „Schult heiß ick, Schultheis trink‘ ick!“

„Na, det klappt doch schon janz jut“, sagt Manni und zapft mir noch eins.

 

„Vielleicht werd‘ ich auch einfach Bayern-Fan“, sage ich etwa gegen 17.10 Uhr. Die Uhr ist auf einmal so unscharf. „Steht doch eh schon am ersten Spieltag fest, wer Meister wird.“

„Eh“, wiederholt Manni, „und man kann nüscht dajegen tun.“

„Doch, man kann“, sagt mein Kumpel, „ist ganz einfach. Jeder Spieler bekommt ab sofort in jedem Verein das gleiche Geld. Dann ist’s so ‘nem Robben egal, ob er bei Dortmund, bei den Bayern oder in Ingolstadt spielt.“

„Oder bei der Eintracht“, meint Manni.

Ich schüttele den Kopf. „Ich will nicht, dass Robben bei der Eintracht spielt.“

„Och, ich hab‘ den ganz gern“, sagt mein Kumpel.

„Ist doch ‘n Schwalbenkönig, der Arjen.“ Ich sehe unseren Wirt an. Arjen klingt irgendwie Berlinerisch.

„Noch ’n Bier“, fragt Manni. Wir nicken. Ich falle vom Hocker.

 

17.15 Uhr?

Wahrscheinlich. Noch ein paar Minuten Nachspielzeit. Dann wär das Spiel gegen Ingolstadt zu Ende. Ingolstadt – direkter Konkurrent im Abstiegskampf.

„Theoretisch kann Darmstadt am Ende 54 Punkte haben. Europa-League“, lalle ich, mehr oder weniger.

„Mann, du bis so'n Pessimist“, sagt mein Kumpel.

„Nee, isch bin Eintracht-Fan“, antworte ich, „ja, des bin isch. Und wissta, was isch jetzt mach? Isch lass‘ mein Handy bei dir, Manni. Manni, mein Freund! Komm, her, geh fort, lass disch drücke! Ja, genau das mach isch. Un morsche bleib isch dann den ganzen Tag im Bett und am - wie heißt der Tach noch? - Montachmorsche hol‘ isch die Rundschau ausm Briefkasten. Und erst dann les isch, wie wir gespielt ham. Des is besser.“ Ich nicke so vor mich hin.

„Geil.“ Manni ist beeindruckt.

„Aber das hältste nicht durch“, meint mein Kumpel.

„Wetten ... Hicks! ... das?“

„Da weeß ick noch wat besseret“, meint Manni, „du bestellst deine komische Zeitung janz ab, verschenkst Fernseher und Radio, jehst offline und redest mit niemandem mehr. Lass‘ dir krankschreiben. Und am Montag nach dem 34. Spieltag holste dir ‘ne Zeitung und dann weißte, ob deine Eintracht abjestiegen ist oder nich.“

„Noch geiler“, sagt mein Kumpel, „und ich ruf‘ dich auch nicht mehr an.“

„Saucool“, sagt ich, „genauso mach isch’s. Ischwörs.“

„Jetzt ist aber mal ‘ne Runde fällig“, murmelt der Wirt und schenkt drei Schnapsgläser voll.

„Aber eigentlich brauch‘ isch auch nie wieder ... Zeitung lesen.“ Ich reiße mich zusammen und sage mit Würde: „Wenn die Eintracht sowieso absteischt.“

„Oh, Mann“ sagt mein Kumpel und schüttelt den Kopf. Manni stellt die Schnapsgläser auf den Tresen. Der Hertha-Fan kommtwieder rein, vielleicht sind es auch zwei, grinst uns an, geht in die Ecke und schnappt sich seine Fahne, vielleicht sind es auch zwei.

„2 zu 1“, rufen die beiden - oder ist es doch nur einer? Jedenfalls flitzt er wieder hinaus.

„Scheiße, für wen“, schreie ich ihm hinterher.

„Stößchen“, sagt Manni.

 

"Neulich in der Jammerbremse ... stieg die Eintracht ab." wurde zuerst im Frühjahr 2017 auf www.resonanzboden.com des Ullstein Verlags veröffentlicht. Dies hier ist eine aktualisierte Fassung. Die Eintracht ist nicht abgestiegen.

 

 

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